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Dieser Herr war noch zwar noch nicht bei uns zum Abendessen - dennoch ist er ein treuer Begleiter


Leider hat man mir schon länger nicht mehr die höchst unterhaltsame Frage gestellt, wen ich denn zu einem Dinner mit maximal fünf Personen einladen würde. DJ Phono wäre auf jeden Fall dabei. Der Mann aus Rendsburg hat nämlich mit Sicherheit Einiges zu erzählen. Masterbrain hinter der durchgeknallten Bühnenshow von Deichkind und deren Tour-DJ, Produzent von Künstlern wie Erobique, den Goldenen Zitronen und Egoexpress und nun eines der Aushängeschilder vom Hamburger Label Diynamic. Davon abgesehen ist er für mich einer der besten und tiefgründigsten DJs in Deutschland, der vor allem in seinen "all night long"-Sets zeigt, wie man die Massen exzessiv und sicher durch die Nacht geleitet. Langsam - ohne Beat - starten, das Tempo immer weiter steigern, irgendwann die ganz große Rave-Keule rausholen, und dann morgens zärtlich vor die Clubtür schubsen.

Dieser Ansatz scheint auch zu seinem Album “welcome to wherever you're not“ Pate gestanden haben. Erst bei Track 5 "Gone" setzt eine verhaltene Bassdrum ein. Vorher geben zarte Popmelodien wie “002A“ und "Paper Aeroplane" und “Röyksopp“ ähnlicher Sound - “Quiz“ und "La Rencontre" den Ton an. Ich mag diesen Teil und immerhin ein Drittel des Albums auch sehr, gerade weil es so schön zurückgenommen und scheinbar unspektakulär klingt. Wer nämlich genau hinhört, der spürt wie intelligent und feinsinnig die Tracks produziert sind.

Mit “Apart“ zeigt Phono, dass er mit Egoexpress eine pop-elektronische Vergangenheit besitzt, die allerdings zeitgemäß klingt und Schritt für Schritt das Tempo anzieht. Im Laufe einer Clubnacht würde sich der Floor jetzt vermutlich langsam füllen. Spätestens ab "knarhcslheuk mi ttinhcsfua hcon ebah hic" gibts dann auch kein Halten mehr. Ein schiebender Housetrack, den man im Übrigen rückwärts lesen muss, um einen kleinen Einblick in Phonos' Humorverständnis zu bekommen. Die folgenden Tracks nehmen den Ball auf und zünden jede einigermaßen musikverständige Tanzfläche so subtil an, dass diese bis morgens gefüllt bleibt. Und genau das kann DJ Phono meines Erachtens wie kaum ein Zweiter. Er nimmt sich in seinen Sets viel Zeit, das Tempo zu steigern und hat am abgelutschten "jetzt kommt der Break, jetzt alle Hände in die Luft und schreien" kein Interesse. Vielmehr zielt er darauf ab, die Feiermeute zu packen, zappeln zu lassen und dann irgendwann in die kollektive Abfahrt frei zu geben. Das tut er übrigens auch immer sehr gut gekleidet, wie das folgende Bild beweist.

Bei manchem Dinner mit Freunden hat das Album die gruppendynamischen Meinung "ach komm, lass uns doch noch für nen Stündchen in nen Club gehen" stark beeinflusst.  Nicht nur deshalb ist "welcome to wherever you're not" eines meiner liebsten elektronischen Listening Alben. Auch auf langen Zugfahrten ist das Album eine treuer Begleiter, der mir mehr als einmal ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat. Beim Gedanken an eine der Nächte, die viel länger als geplant waren und viel schöner wurden, als man es sich je erhofft hatte. In diesem Sinne; Wenn DJ Phono mal bei euch in der Nähe ist, dann lasst ihn euch nicht entgehen. Der Mann kanns!


Hybridmusik für das 2. Lebensdrittel und cheesy chips are a drunk man’s best friend


Es scheint, dass man für Hybridmusik, die den gemeinsamen Nenner irgendwo zwischen Dubstep, UK Garage und laid back HipHop findet, ein gewisses Lebensalter benötigt. Ich konnte mit dieser Art von Musik lange Zeit nur wenig anfangen. Nichts Halbes und nicht Ganzes und damit uninteressant. Deshalb habe ich auch den Hype um Tricky, A Guy Called Gerald und Massive Attack lange Zeit nicht wirklich verstanden. Das hat sich bei mir in den letzten Jahren geändert und daran trägt Ghostpoet einen ganz gehörigen Anteil. Den Mann habe ich eher zufällig auf einem Konzert gesehen und ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass dies eines der besten Livekonzerte war, die ich bisher sehen durfte. Der Mann hat mich zwei Stunden - im übertragenen Sinne - gefesselt und zwar nicht aufgrund seiner ausgeklügelter Visuals, Flammenwerfer auf der Bühne oder sonstigem Schnickschnack. Sondern: Der Sound - in dem Fall live von einer Band eingespielt - in Kombination mit der eindrucksvollen Stimme des Engländers lässt einen nur schwer los. Und das schafft der Mann auf Albumlänge locker durchzuhalten.



Die beiden ersten Tracks - "Cold Winter" und "Them Waters" breaken düster vor sich hin, bevor es mit mit "Dual Tone" inkl. weiblicher Gaststimme etwas hoffnungsvoller wird. "Plastic Bag Brain" klingt wie eine psychedelische Platte aus den 70ern, die sich versehentlich in einen HipHop Battle der späten 90er verirrt hat. Ziemlich abgefahren also. "MSI Musmid" ist schon fast ein klassischer DrumNBass Track. Wäre da nicht das nasale Erzählen des Geisterdichters. Auf youtube findet sich ein Album Mini Mix, der euch einen sehr guten ersten Eindruck zu dem Album gibt.


Es lohnt sich im Übrigen mal die Lyrics zu googlen. Der Kerl hat echt was zu Erzählen und die Texte passen zum Sound. Bei dieser Gelegenheit empfehle ich auch, sich die Facebook Seite des Herrn anzuschauen. Der Mann postet nicht, wo er wie geil performt hat und bald noch fetter performen wird - wie es in dem Genre nicht ganz unüblich ist - sondern hat ernsthaft Humor, den er mit viel Wortwitz verpackt. Als kleinen Einblick findet ihr seine Ode an ein herzhaftes Frühstück nach einer wunderbaren Nacht. Ich habe selten eine so treffende Beschreibung unterschiedlicher Gefühlszustände an einem Sonntagmorgen gelesen.


Ich höre das Album - obwohl es mitunter doch ganz schön derb und sperrig klingt - recht häufig. Meist alleine, entweder auf Reisen oder komischerweise auf dem Fahrrad. Man muss sich darauf allerdings auch einlassen, da sowohl die Beatarrangements, als auch die Lyrics wirklich fordernd sind. Für einen gemütlichen Abend auf der Couch gibt es da sicherlich passenderen Soundtrack als beispielsweise der letzte Track auf dem Album. "Comatose" macht mit einem Orgel-Violinen-Dubstep Gewitter nämlich seinem Namen alle Ehren.


Four Tet ist nicht Burial und Burial ist eine musikalische Offenbarung


Es gibt Sätze, die werden nur in Plattenläden ausgesprochen und es gibt Fragen, die kann man nur dem Mann seines Vertrauens in solch einem Laden stellen:


"Ich glaube, mir könnte Dubstep gefallen. Allerdings kenne ich nur Skrillex. Den finde ich furchtbar. Hast du sowas Ähnliches für Mitte Dreissigjährige?"


Andre - der Mann meines Vertrauens bei Michelle Records - hat mich in diesem Moment sehr wissend angesehen. Wie ein erfahrener Apotheker, der genau weiss, welches Medikament aus den seinen Schränken jetzt mit Sicherheit wirkt. Oder wie ein sehr alter Winzer, der den perfekten Wein für den Abend unter dem Tresen hervorzaubert.


“Hier. Das ist Burial. Das ist genau das, was du suchst. Falls dir die Platte nicht gefällt, dann bring sie zurück."


Es passiert leider nicht besonders häufig, dass man musikalisch etwas wirklich Neues und Bahnbrechendes für sich entdeckt. Viele Bands kennt man, hat von Ihnen gehört oder weiss, was sich zumindest so ähnlich anhört. Das ging mir lange Zeit - von einigen wenigen Ausnahmen einmal abgesehen - genauso. Aber dann kam Burial. Burial schafft es in all seinen Alben und Veröffentlichungen einen Sound zu erzeugen, der für mich einzigartig klingt.


Verzerrte Beats schweben über rauschenden Klangteppichen. Hallendes Dubgewummer harmoniert mit Anleihen aus frühem 90er DrumNBass. Und verfremdete Vocals, die aus einer anderen Welt zu stammen scheinen werden von einer strammen 4/4 Drum durch die Tracks getrieben.


Nach einem kurzen Intro startet das Album mit einer Liebeserklärung namens "Archangel" - getragen von einem rohen DnB Rhythmus - und einer Stimme, die weder männlich noch weiblich klingt. "Near Dark" bleibt dem Thema Liebe treu, ist allerdings deutlich darker, während "Ghost Hardware" dann etwas hoffnungsfroher klingt. Das Titelstück "Untrue" kommt einem echten Clubtrack dann noch am nächsten, da das zentrale Element eine 4/4 Bassdrum ist. Wobei das Album ehrlicherweise zwar für die Nacht gemacht ist, aber nicht für den Club. "Homeless" ist dann schon fast klassischer Dubstep, der aber sehr angenehm groovt. Das Album endet dann mit meinem persönlichen Lieblingsstück "Raver".


Es gab eine lange Periode von unterschiedlichen Diskussionen dazu, wer Burial denn nun sein könnte. Kandidat #1 war Four Tet. Der war und ist es aber nicht. Burial hat das Rätsel zeitgemäß via Selfie vor Kurzem aufgelöst. Das lässt hoffen. Der schüchterne Brite ist nämlich meines Wissens noch nie live aufgetreten. Wie auch, so ganz öffentliche Identität. Das ändert sich nun gegebenenfalls und würde mich sehr freuen.

Burial nimmt einen mit auf eine Reise in die eigene Gedankenwelt und sollte daher am ehesten alleine gehört werden. Sein Sound schafft sich Gehör und eignet sich kaum zum nebenbei vor sich hin plätschern lassen. Vielmehr finde ich, dass es das ganze Album verdient laut gehört zu werden, dann trägt einen der Sound. Wohin? Das entscheidet ihr selbst!

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