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24. Mai 2020
Unser heutiges Mixtape liegt uns besonders am Herzen. Es ist nicht nur eine Aneinanderreihung von Tracks, es ist vielmehr die musikalische Beschreibung einer Zeit, in der sich unsere unsere Freundschaft entwickelt hat und in der wir gemeinsam tief in das Hamburger Nachtleben eingetaucht sind. Wir haben die Tracks selektiert, die uns besonders an diese Zeit - 2000 bis ca. 2010 - erinnert und die wir mit besonderen Momenten an diese Zeit verbinden.
Wir kannten uns schon bevor wir nach Hamburg kamen, weil wir Beide im gleichen Göttinger Club - dem Electroosho - aufgelegt haben. Christian bereits seit Anfang der 90er Jahre crediblen House- und Technosound an den Freitagen und ich eine wilde Mischung aus HipHop, Charts, Alternative und Dance an jedem zweiten Mittwoch. Wir kannten uns zwar, haben aber faktisch nicht miteinander gesprochen. Richtig kennengelernt haben wir uns dann auf der Tanzfläche des alten Hamburger Mojo Clubs.
Von da an haben wir unsere gemeinsame Leidenschaft für elektronische Musik an fast jedem Wochenende zelebriert. Vornehmlich in zwei Clubs - der Tanzhalle und dem Click.
Die Tanzhalle war ein kleiner Club am oberen Ende der Silbersackstrasse. Der freundliche Türsteher mit langen Haaren und einem sehr deeskalierenden Gemüt hat einem die Tür geöffnet, an der Kasse war die Garderobe und dann ging die Tür auf und man war mittendrin. In der Tanzhalle, die ausschließlich aus Theke und Tanzfläche bestand. Reduzierte Lichtanlage und dafür ein top Soundsystem. Hinter der Bar standen ausnahmslos sympathische Leute aus dem Viertel, die öfters mal einen Schnaps mitgetrunken und generell gerne mitgefeiert haben. Das Booking des Clubs war ausnahmslos gut. Fantastische Hamburger Locals wie „Deine Villa“, Tobi Schmid oder Michi Lange und national bekanntere Namen wie Michael Mayer oder Robag Wruhme haben vornehmlich an jedem Freitag und Samstag aufgelegt und uns tolle Nächte bereitet. Das besondere an der Tanzhalle war der ausschließliche Fokus auf die Musik - keine aufwändige Lichtanlage, kein großer Barbereich zum sehen und gesehen werden und dementsprechend auch keine Menschen, denen die eigene Bestätigung im Nachtleben besonders wichtig ist. Es ging in der Tanzhalle ausschließlich darum zu tanzen. Vernünftig unterhalten ging wegen der Lautstärke nicht und zum Hinsetzen haben die Sitzgelegenheiten gefehlt. Man hat also genau zwei Dinge getan - getanzt oder sich einen Drink geholt. Erfreulicherweise ging auch Beides gleichzeitig. Besonders eine Nacht ist uns in Erinnerung geblieben - Michi Lange hatte ein überragendes Allnight Long Set gespielt und ist für die letzte Platte mit auf die Tanzfläche gekommen, um zusammen mit den letzten Feierenden das Ende des Sets zu erleben - und zwar aus der Sicht derjenigen die tanzen, nicht aus Sicht des DJs, der sich feiern lässt.
Christian, ich und ein riesengroßer Freundeskreis haben uns oft nach einer langen Nacht noch ein Croissant bei der „bärtigen Bäckerin“ geholt. Diese (bärtige) Transdame hat bei einem Bäcker um die Ecke gearbeitet und hat mit sehr schlechter Laune dem Feiervolk sehr gute Croissants verkauft. Verrückterweise trug sie sehr stilvolle Guccischuhe.
Neben der Tanzhalle haben wir auch einige Nächte im Hamburger Click verbracht. Einem Club im ersten Stock eines Gebäudes am Nobistor (das Gebäude wurde abgerissen und heute ist da die Endoklinik drin). Erheblich größer als die Tanzhalle mit einem sehr ausgefeilten Lichtsystem und einer präzisen Anlage hat dieser Laden einen neuen Maßstab im Hamburger Nachtleben gesetzt. Insbesondere was das Booking anging, konnte sich das Click mit Berliner Clubs durchaus messen. Miss Kittin, Roman Flügel, Jennifer Cardini und Ivan Smagghe haben sich dort regelmäßig die Klinke in die Hand gegeben und für ausufernde Nächte gesorgt. Christian und ich waren gerne schon relativ früh dort - vor allem wegen der Warm Up Sets von den Residents wie Harre, Henry und Marc Schneider. Dort haben dann direkt am Fenster mit Blick auf die Reeperbahn den ersten Drink genommen, die Meute auf dem Kiez begutachtet, den Warm Up Sound genossen und die Anfangsdynamik einer exzessiven Clubnacht auf uns wirken lassen.
Es gibt übrigens kaum Photos aus dieser Zeit, schlicht weil Smartphone Kameras nicht existierten. Das führte dazu, dass sich der Hedonismus, der zum Nachtleben dazugehört, nicht auf Instagram, sondern im Club - am Ort des Geschehens - ausufernd gelebt wurde und die Nächte vielleicht auch ein bisschen intensiver gemacht hat, als es heute möglich sein kann. .
Mittlerweile sind beide Clubs schon lange von der Bühne des Hamburger Nachtlebens verschwunden und wir sind älter geworden. Heute - wenn nicht gerade Lockdown ist - bestimmen Clubs wie der Südpol, das PAL und der Baalsaal den Takt der Nächte.
Dennoch ist der Sound dieser Phase für uns immer etwas besonderes geblieben - deshalb haben wir diesen heute für euch sauber zusammen gemixt und als Spotify Playlist angelegt.
15. Juni 2014
Von der Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor auf dem Dancefloor
Es ist nicht so einfach im elektronischen DJ- und Produzentenzirkus Protagonisten zu finden, die ihrer (und unserer) Leidenschaft - nämlich elektronische Musik in all ihren Facetten und Ausprägungen - mit einer gewissen Ernsthaft- und Nachhaltigkeit nachgehen. Einer, der Housemusic auf fast allen kulturellen Kanälen authentisch und intellektuell auf hohem Level bespielt ist Hans Nieswandt. Gekrönt hat er das aus meiner Sicht durch seine Berufung als künstlerischer Leiter des neu gegründeten Instituts für Populäre Musik der Folkwang Universität der Künste. Davor hat er Bücher geschrieben, Alben und Singles produziert, war für das Goetheinstitut im Namen elektronischer Musik in allen Herren Länder unterwegs und moderiert jeden Mittwoch eine sehr hörenswerte Radioshow.
Davon abgesehen ist er sein sehr guter DJ, der zwar auf den Flyern der großen Festivals nicht mehr in den fettesten Buchstaben angekündigt wird, dafür aber eine treue und musikalisch anspruchsvolle Fangemeinde hat und auf sehr crediblen Veranstaltungen wie dem Baltic Soul Weekender spielt. Langer Rede, kurzer Sinn. Der Mann macht spannende Sachen, produziert gute Musik und ist musikalisch immer auf der Höhe der Zeit und das schon seit einigen Jahrzehnten.
"The True Sound Center" ist mit Sicherheit eines der Alben, die auf der ewigen Top 50 Liste der von mir meist gehörten Alben relativ weit oben steht. Und zwar zu allen möglichen Gelegenheiten, weil es so wunderbar abwechslungsreich ist. Da findet sich schwelgerischer Elektropop - "Ich Vermiss Die Zeit", "So fein" und Dr. Sommer - neben heute noch sehr zeitgemässem Deephouse “You don't know shake it“, gerne auch mit leichtem Diskoeinschlag wie auf "Gloria". Alles mit einem leichten Augenzwinkern und sich selbst nicht allzu ernstnehmend. Bei allem Humor weiß Hans Nieswandt aber auch wie man einen Dancefloor in Wallung bringt und wie man dafür sorgt, dass dies auch so bleibt. "Yeh Pump It" hält was der Titel verspricht und der Technoschieber "Anarkist" hätte auch auf Kompakt veröffentlicht werden können.
Gerade der Humor-Aspekt macht das Album so sympathisch, im Nachtleben gab und gibt es nämlich genug Künstler, die scheinbar irgendwie das Lachen verlernt haben. Das Interview mit Dixon und seinen Innervisions Kollegen in einer der letzten Grooveausgaben ist da nur ein Beispiel von vielen. Nicht falsch verstehen, Dixon ist ein Top DJ und Innervisions ein Label der Extraklasse. Aber ganz so derb muss man dann auch nicht auf Trommel hauen.
Bei Hans Nieswandt mag ich die Balance aus Humor, ja zum Teil ziemlicher Albernheit und ernsthaftem Tiefgang. So veröffentlicht er Bücher, wie "Dj Dionysos Geschichten aus der Diskowelt", die mehr als zugänglich und lesbar sind, ist aber gleichzeitig im Auftrag des Goethesinstituts unterwegs.
Und das nicht ohne Grund, wer in der Süddeutschen Zeitung Sätze, wie "Die Tanzfläche ist ein guter Ort - wie eine Kirche oder ein Berggipfel -, um sich der Merkwürdigkeit des Vorhandenseins im Universum bewusst zu werden: die Endlichkeit und die Unendlichkeit, die eigene Bedeutung und Nichtbedeutung" von sich gibt, für den ist scheint den Dingen gerne und mit viel Leidenschaft auf den Grund gehen zu wollen.
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