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Popalbum vom Minimal Techno Produzenten zum Schnaps trinken und Blödsinn quatschen


Spannend wird es auf Albumformat immer dann, wenn die jeweiligen Künstler sich neuen Stilrichtungen öffnen. Dubstepheads, die Technoalben produzieren, HipHop Leute, die sich House zu wenden oder Minimal Acts, die Pop eine neue und interessante Wendung geben. Ich hatte Matthew Dear lange Zeit vor allem als Produzenten verspulter Minimanltracks, beispielsweise für Richie Hawtins Label minus, auf dem Radar. Für den Club ok, aber nichts zum Hören.


Das hat sich mit der Veröffentlichung von "Asa Breed" gehörig geändert. Matthew Dear ist ein wirklich vielfältiger Künstler, der sich auf dem hervorragenden Album aus 2007 dem Pop und sogar Wave zwar öffnet, aber die klare Linie seiner elektronischen Produktionen beibehält. Eine Zeit lang habe ich das Album rauf und runter gehörig und das aus gutem Grund.


Trotz allem Popappeal basiert fast das ganze Album auf einem geraden 4-to-the-floor-beat und gibt damit klar die Richtung vor. Hier wird kaum geträumt und nachgedacht, sondern vor allem die erste Hälfte des Albums zieht einen mit aller Kraft auf die Tanzfläche eines kleinen Kellerclubs. Dafür werden alle Register gezogen. Acidsynties mit einer Killer-Hi-Hat auf dem Opener "Fleece On Brain", pumpendes Minimalgeklicker auf "Elementary Lover“ oder "Will Gravity Win Tonight" und kickend-alberner House à la Erlend Oye mit “Pom Pom". Jeder der Tracks auf dem Album ist geprägt von Matthew Dears eindrucksvoller Stimme.



Auf der zweiten Albumhälfte nimmt Dear das Tempo raus und legt den Fokus eher auf Indie im eigentlichen Sinne. Auch das hört sich gut an. "Death to Feelers" ist ein herrlich schwelgerischer Popsong, "Give Me More" kann man schon fast in die Singer / Songwriter Schublade stecken und "Midnight Lovers“ hätte  in seiner verschleppten Dramatik auch den Doors gut gestanden.


Alles in allem ein wirklich gutes und abwechslungsreiches Album zum Lauthören, Schnaps trinken, Blödsinn reden und im Wohnzimmer tanzen. Seit Asa Breed kamen noch zwei weitere Alben raus und in die höre ich jetzt direkt rein. Live scheint der gute Mann übrigens auch ein Erlebnis zu sein; mit Bigband und Anzug zu perfomen steht dem Herrn auf jeden Fall gut, wie das folgende Video beweist.


Jazz ist nicht tot, er riecht auch nicht komisch, sondern frisch wie Babypups...das geht raus an alle Crews


Musik wird dann richtig interessant, wenn sich einem der Sound nur an speziellen Orten erschließt. Bei "Duo" war dieser Ort für mich tatsächlich ein Museum. Die Hamburger Kunsthalle nämlich. Aber Eins nach dem Anderem.


Wir haben an anderer Stelle uns schon über das Für und Wider von Jazz im Allgemeinen ausgelassen. Ehrlicherweise  finde ich den Zugang zu Jazz immer nur phasenweise. So habe ich in den Jahren 2005 bis ca. 2008 viel Jazzalben gekauft und war auch auf einigen Konzerten, um dann abrupt bis heute dem Jazz quasi zu entsagen.

Mit einer Ausnahme. Die Ankündigung eines gemeinsamen Albums von Henrik Schwarz und Bugge Wesseltoft hat mich seinerzeit tatsächlich ein bisschen in Aufregung versetzt.


Henrik Schwarz ist meines Erachtens einer der innovativsten Produzenten elektronischer Musik und hat mit seinen Veröffentlichungen auf Innervisions und seiner zeitlosen DJ Kicks Compilation (elektronische) Musikgeschichte geschrieben. Bugge Wessetoft ist ein begnadeter Jazzpianist aus Norwegen, der bombastische Alben produziert hat. Beispielhaft sei hier “New Conception Of Jazz“ genannt. Ein gemeinsames Album der beiden klingt nach einer Hochzeit im Musikhimmel.


Vorab, Cover Artwork ist irreführend. "Duo" ist keine einfache Kost und wer darauf hofft, ein Housealbum mit Jazzelementen zu hören, der ist mit anderen Künstlern, wie zum Beispiel St. Germain, auch besser bedient. Die Tracks auf"Duo" sind komplexer Jazz und der Einfluss von Henrik Schwarz ist eher so zu verstehen, dass er mit mutmaßlich Ableton Live ein weiteres "Instrument" beisteuert. Und das klingt innovativ und aufregend, aber erschließt sich nicht beim ersten Hören. Die meisten Tracks sind zwischen sechs und acht Minuten lang und lassen sich im Aufbau - ähnlich vieler elektronischer Produktionen - Zeit. Basierend auf immer wiederkehrenden Loops werden Elemente dazugefügt und wieder entfernt, was das Ganze manchmal wie ein spontanes Jamming klingen lässt.



Mein persönlicher Anspieltipp ist “Leave My Head Alone Brain", die Platte ist ursprünglich ein "echter" Housetrack von Henrik Schwarz und klingt verjazzt sogar noch interessanter. Aber auch unter den anderen Tracks findet sich kein Füllmaterial. Man merkt dem Album als Ganzes an, dass es von zwei Vollblutmusikern produziert wurde. Die Beiden fordern Ihre Hörer und das kann - zur falschen Gelegenheit gehört - anstrengend klingen.


Auch wenn es komisch klingen mag, am besten habe ich das Album verstanden, als ich es während einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst in der Hamburger Kunsthalle gehört habe. “Kammermusik oder “First Track“ auf dem Kopfhörer zu hören und dabei sehr lange ein abstraktes Kunstwerk zu betrachten, hat sich gut und richtig angefühlt. Und wenn die Beiden wieder live auf Tour gehen sollten, dann werde ich das auf keinen Fall verpassen.





In diesem Jahr gab es so viele gute Alben, dass es uns schwergefallen ist, uns auf 10 zu beschränken. Die üblichen Verdächtigen wie Moderat, DJ Koze, Mount Kimbie und Arcade Fire finden wir auch super, aber wir wollen mit euch unsere Favoriten teilen, die man im Zweifel nicht in jeder zweiten crediblen Top Ten Liste findet. Merke, auch abseits der ausgetretenen Pfade ist es oft am Schönsten.


Still Corners – Strange Pleasures

Die Band “Still Corners“ ist bisher noch so eine Art Geheimtipp. Das Genre: Dream Pop. Lasst Euch aber von diesem nicht sehr einladenden Genre-Namen nicht abschrecken. Musik zum Träumen kann auch cool sein. Auf Still Corners gestoßen bin ich auf einem nicht sehr gut besuchten Konzert im Hamburger INDRA. Ohne einen einzigen Song bereits vorher zu kennen wurde ich dennoch sehr schnell im Bann der Londoner Band und vor allem der Stimme von Tessa Murray gezogen. Nach dem großartigen Debut-Album Creaturesof an Hour aus dem Jahr 2011 konnten Still Corners die dichte Atmosphäre und den tollen Sound nahtlos auf „Strange Pleasures“ fortsetzen. So wünscht man sich ein Follow-Up einer liebgewonnenen Band. Ein verstörendes Märchen-Bilderbuch zum Hören mit Happy End.


Stimming - Stimming

Martin Stimming ist neben DJ Phono und David August der sympathischste und musikalisch anspruchsvollste Künstler des Hamburger Labels Diynamic. Bei den meisten seiner Produktionen muss ich an eine angezogene und unfassbar funkige Handbremse denken. Man wartet jede Sekunde auf die Abfahrt und sie kommt einfach nicht. Das macht die Crowd im Club verrückt und klingt auf dem Kopfhörer super. Das Ganze bewegt sich an der Schnittstelle zwischen House und Techno mit dem gemeinsamen Nenner "deepness". Sein Debut aus 2009 "reflections" war großartig, der selbst betitelte Nachfolger ist noch besser. Und Martin Stimming einfach ein sehr sympatischer Zeitgenosse, wie das folgende Interview beweist:


Au Revoir Simone – Move In Spectrums

Au Revoir Simone geht mit dem 2013er Album “Move In Spectrums” neue Wege. Weitaus poppiger als die Vorgänger-Alben und vor allem deutlich tanzbarer. Die Band besteht aus drei Damen aus Brooklyn, die optisch allen Indie-Klischees entsprechen, was ja nicht unbedingt etwas Negatives sein muss. Easy Listening Indie Folk trifft Dancefloor-Pop und macht dabei eine sehr gute und nach wie vor entspannte Figur. Ich hoffe, die Band bleibt ihrer Fangemeinde treu und verliert sich obgleich der Radiotauglichkeit der neuen Lieder nicht im Mainstream-Sektor. Bis dahin genießen wir auf jeden Fall jede einzelne Note.


Ghostpoet - Some Say I So I Say Light

Ghostpoet ist einer der Künstler, von denen ich nie etwas gehört und zufällig live gesehen habe. Auf dem Konzert hat er mir die Augen geöffnet. Für eine Art von Sound, die ich vorher nicht kannte. Einen derben Hybrid aus Hip Hop, Dubstep und Trip Hop. Ähnelt im allerweitestens Sinne vielleicht The Streets, ist aber viel tiefsinniger und feingliedriger produziert. Seine eindrucksvolle Stimme näselt über Beats, die sich einem subtil ins Hirn bohren. Hat mich während des Konzert und das ganze Jahr nicht losgelassen. Ich glaub, das Album höre ich in 20 Jahren noch. Weltklasse!


Chvrches – The Bones Of What You Believe

Zu Chvrches muss man eigentlich nichts mehr sagen. Die in 2013 wohl meist gehypte und geliebte Band, die wirklich alle für sich vereinnahmen konnte. Sowohl kritische Indie-Musikredakteure und Blogger als auch kommerzielle DJs und vor allem das bunt gemischte Publikum auf den grandiosen Konzerten. Lauren Mayberry katapultierte sich mit ihrer vereinnahmend sympathischen Ausstrahlung und zugleich zart und kraftvollen Stimme in die Herzen der Audienz. Wohl ziemlich einzigartig:Das Debutalbumder schottischen Elektropop-Komboist randlos voll mit Hits und völlig ohne Lückenfüller. Hoffentlich kommt da in 2014 noch viel mehr!


Kalabrese  - Independent Dancer

Kalabrese zweites Album ist noch fetter als sein Debut. 12 Tracks denen der Funk nur so aus den Ohren fließt. Und das, obwohl es doch gar kein Funk ist, sondern House oder Indie oder Pop. Ach, vergesst die Genregrenzen, spätestens wenn die Bassline vom Kontrabass eingeholt wird und Kalabrese in sympathischem Schwyzerdütsch darüber singt, dann liegen sich eh alle Genrefetischsten vor Glück in den Armen. Musik zum Tanzen, Knutschen und Gut gelaunt sein.



Dear Reader – Rivonia

Dear Reader geistern schon seit einigen Jahren durch die heimischen CD-Player von Menschen mit gutem Geschmack und waren auf ansprechenden Festivals stets gern gesehene Gäste. Die südafrikanische Herkunft der Band-Gründerin und Wahl-Berlinerin CherilynMacNeil ist dem 2013er Album „Rivonia“ nicht nur musikalisch, sondern vor allem auch textlich herauszuhören. Ich achte normalerweise wenig auf Songtexte, bei diesem Werk kommt man aber nicht umhin, sich bildlich die Geschichten vom Goldrausch oder einsamen Seeleuten vorzustellen, die auf dem Album mit eindrucksvoller Stimme und teilweise sogar Chorgesängen vorgetragen werden. Auch ein absoluter Live-Konzert-Tipp!



Robinn - Multiphonia

Es wird immer schwerer für besserwisserische Schubladenfetischsten in Sachen Musikgenres. Bestes Beispiel ist Robbin, der in seinem ersten Album Techno, Dubstep und Indiepop so verwurstet, dass der Jutebeutel-Hippster, mit dem Dubstep Head glücklich um ein Indiemädchen tanzt. So soll es sein. Eindrucksvolle Stimme hat der Mann und ein tolles Album ist das. Ich hoffe, der geht bald mal auf Tour!



Baths – Obsidian

Für Leute, die auf intelligente Texte gepaart mit elektronischem Geklimpert stehen, denen James Blake aber schon zum Halse raushängt, empfehle ich Baths, das Projekt von Ober-Musiknerd Will Wiesenfeld. Teilweise erinnert mich der Sound auch an Postal Service, vor allem der Anspieltipp „Phaedra“. Grundsätzlich aber noch elektronischer und mit größerer Leidenschaft für kleine Sound-Details. Ein Fest war es auch, den Herrn bei einem seiner in Deutschland seltenen Konzerte sehen zu können, permanent über seine Maschinen gebeugt und ins Mikrofon kreischend wie ein Bekloppter hatte sich Will Wiesenfeld wohl mit Absicht schlimm angezogen und benommen: Mit einer hässlichen Turnhose bekleidet erzeugte er wahnsinnig treibende Elektro-Sounds und vertrieb böse Geister mit seiner überdrehten Stimme, wenn er nicht gerade ins Mikro rülpste oder das Publikum beleidigte. Chapeau!



Mano Le Tough - Changing Days

“Transzendenz ist mir sehr wichtig, wenn ich Musik mache. Du überwindest dich quasi selbst, um nur noch in der Musik und in dem Moment zu existieren". So spricht der Ire in einem Interview mit der Debug über sein Werk. Und genau so klingt auch das Album. Tiefsinniger Konzepthouse, der recht und links der geraden Bassdrum ausbricht und eine Atmosphäre entwickelt, die nie düster, sondern immer hoffnungsfroh ist. Intelligente elektronische Musik auf Albumlänge, die nicht das Dunkel des Clubs, sondern die freundliche Helligkeit eines schönen Sommertags sucht. An einem Tag, an dem tanzen darf, nachdenken möchte und letztlich glücklich ist.

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