Es regnet. Zeit sich wieder den wesentlichen Dingen im Leben zu widmen. Classic Drum'n'Bass zum Beispiel
Ich komme ursprünglich aus einer Gegend, in der man Ende der 90er zwangsläufig mit Drum'n'Bass und dessen Subgenres in Berührung kam. In Mannheim gab es damals einen legendären Club namens “Milk“ und eine ganze Reihe von DJs mit denen man mit 15 auf einem Weinfest billigen Fusel getrunken hat und die plötzlich ein oder zwei Jahre später - zumindest für kurze Zeit - ziemlich durchgestartet sind. Beispielshalber sei hier Bassfase Sascha und DJ Viper genannt. Mich hat der Sound damals ziemlich kalt gelassen. Irgendwie war's mir zu stressig, zu hart, zu wenig Groove und die Leute, die sich dazu auf den Parties rumgetrieben haben, waren mir auch nicht so ganz geheuer. Letzteres ist heute auch noch so, aber vielleicht bin ich auch einfach zu alt. Den Sound mag ich aber neuerdings. Interessanterweise bin ich über Post-Dubstep-Acts wie Burial überhaupt mal wieder auf die Idee gekommen, mich mit den Wurzeln dessen, also mit klassischem Drum'n'Bass zu beschäftigen.
Da kommt man offensichtlich an Grooverider nicht vorbei. Der Mann ist seit den 80ern im Geschäft und hat das Genre zu dessen Hochphase Mitte und Ende der 90er entscheidend mit geprägt. Erstaunlicherweise nicht so sehr durch die Vielzahl seiner eigenen Veröffentlichungen, sondern durch seine DJ Sets, seiner eigenen Radioshow (auf BBC!!) und dem Einfluss seines eigenen Labels namens Prototype Records. Das Album "The Mysteries of Funk" gilt davon unabhängig als eines der wichtigsten DnB Alben, die je veröffentlicht wurden. Mit solchen "Ehrentiteln" bin ich typischerweise sehr vorsichtig. Ein wirklich genreprägendes Album muss aus meiner Sicht schon ein paar mehr Kriterien erfüllen, als schlicht gut zu sein. So muss es heute noch aktuell klingen und darf nicht das Gefühl des "hab ich schon hundertmal gehört" hinterlassen. Und das gilt sowohl für die Kreativität des Sounds, als auch die schnöde technische "Produktion".
Grooverider schafft es über 13 Tracks hinweg eine bemerkenswerte Stimmung zu entfalten. Wahrscheinlich deshalb, weil das Album an sich ziemlich funky ist und er das originär Anstrengende, das Schnelle und Harte zugunsten von Vocals, Dubeffekten und sogar jazzigen Elementen zurücknimmt. Besonders merkt man das an Hybridtracks wie "Rainbow of Colour", "Cybernetic Jazz" oder "Imagination". Diese Tracks hätten in leicht abgeschwächter Form seinerzeit auch von Kruder & Dorfmeister produziert sein können. Bei den härteren Nummern, wie "Where is Jack The Ripper" oder "560 Degrees" beweist Grooverider aus welchem (DJ) Stall er kommt. Dieser Sound charakterisiert seine früheren DJ Sets ziemlich genau auf den Punkt. Hart, dunkel und fordernd, aber sehr differenziert und mit klar hörbarem musikalischem Schwerpunkt.
Bei dem ganzen Album fällt es mir schwer, still zu sitzen, sondern ich merke, wie ich beim Schreiben nicht aufhören kann, mit dem Kopf zu nicken und locker mit zu grooven. Dennoch: Bei aller Funkiness, Drum'n'Bass ist hart und kompromisslos. Das hört man nicht beim Frühstück im Cafe, nicht beim sommerlichen Open Air und auch nicht auf der Fahrradtour zum See. Generell würde ich das eher als Sound für die Nacht beschreiben, den man entweder alleine oder mit einem Freund hört, der bereit ist, sich darauf einzulassen. Vielleicht auf einer gemeinsamen langen Autofahrt, bei der man sich viel zu erzählen hat aber auch mal schweigen kann. Oder muss, weil der Klang es verdient, dass man ihm zuhört.