top of page

Vom Schaufensterkonzert direkt ins Fach mit den Lieblingsalben


Samstagnachmittag. Es regnet und dennoch raffe ich mich auf, schwinge mich aufs Rad und mache mich auf den Weg in die Hamburger Innenstadt. Dort regiert wie jeden Samstag eine Mischung aus ungehemmter Kleinstadtkonsumgeilheit, aufgewühlter Touristenmassen und schon dem ein oder anderen bierseligen Junggesellen Abschied.


Wie schön, dass es ein paar kleine Oasen gibt. Eine davon ist Michelle Records, ein toller Plattenladen, der eine exzellente und stilübergreifende Auswahl an CDs und Vinyl bietet, angenehme und engagierte Menschen beschäftigt und regelmäßig Konzerte im eigenen Schaufenster organisiert.


So auch an diesem Samstag; "Ensemble Du Verre" spielen am gleichen Abend noch im Mojo Club und stellen am Mittag live ihr neues Album vor. Also stehe ich mit ungefähr 30 gleichgesinnten Musikliebhabern zwischen CD- und Plattenregalen und harre mit einem Bier in der Hand der Dinge die kommen.


ree

Die Band formiert sich offensichtlich in unterschiedlicher Besetzung um Sönke Düwer und ist musikalisch im weitesten Sinne im Jazz zu verorten. Das wäre aber zu kurz gesprungen. Auf dem aktuellen Album dominieren - auf der Basis klassischer Jazzinstrumente - die elektronische Einflüsse. Live steht die aktuelle Sängerin Schirin Al- Mousa im Vordergrund, die ihre Sache auch wirklich gut macht. Sie erinnert mich zugegebenermassen an den ein oder anderen Track, den seinerzeit Clara Hill mit Jazzanova produziert hat.


Interessant machen das Album aber vor allem die Beatfrickeleien des Bandgründers und das dominante Schlagzeug. Diese beiden Elementen geben auf den meisten Tracks des Album die Richtung nach vorne vor. Das klingt erfreulicherweise nie bis ins letzte Detail ausproduziert, sondern teilweise so roh, schmutzig und trippig, dass ich mich an Clark, Darkstar oder Ghostpoet erinnert fühlte. In Kombination mit der klassisch-schönen Jazzstimme entwickelt das Ding einen ganz eigenen holprigen Sog. So breakt, wobbelt und jazzt das ganze Album auf insgesamt 11 Tracks fast ohne Ausfälle vor sich hin.


Die Singleauskopplung "Snow" frickelt sich zu einer klassischen Deephouse Nummer hoch, die auch Barbara Tucker gut gestanden hätte. “Dare“ findet seine Inspiration aus HipHop, während der Opener “Cracks“ schon fast dubbig vor sich hin groovt. Einzig “infinite“ und "time" sind mir persönlich ein bisschen zu seicht. Aber das ist Geschmacksache und soll euch nicht von dem tollen Album abhalten, dass bei jedem Hören eine neue kleine Überraschung in sich birgt. Wie ich beim Recherchieren lernen durfte, ist das aktuelle Album bereits das sechste der Band. Das ist tatsächlich an mir vorbeigegangen und ich befürchte fast, dass ich damit nicht alleine bin. Zumindest spielen sie noch nicht in größeren Clubs. Jetzt wird auf Compost Record veröffentlicht und damit auf einem international sehr bekannten Label, damit sollte dem Durchstarten bei einem breiteren Publikum nichts im Wege stehen. Musikalisch verdient hätten sie es!



Jazz ist nicht tot, er riecht auch nicht komisch, sondern frisch wie Babypups...das geht raus an alle Crews


Musik wird dann richtig interessant, wenn sich einem der Sound nur an speziellen Orten erschließt. Bei "Duo" war dieser Ort für mich tatsächlich ein Museum. Die Hamburger Kunsthalle nämlich. Aber Eins nach dem Anderem.


Wir haben an anderer Stelle uns schon über das Für und Wider von Jazz im Allgemeinen ausgelassen. Ehrlicherweise  finde ich den Zugang zu Jazz immer nur phasenweise. So habe ich in den Jahren 2005 bis ca. 2008 viel Jazzalben gekauft und war auch auf einigen Konzerten, um dann abrupt bis heute dem Jazz quasi zu entsagen.

Mit einer Ausnahme. Die Ankündigung eines gemeinsamen Albums von Henrik Schwarz und Bugge Wesseltoft hat mich seinerzeit tatsächlich ein bisschen in Aufregung versetzt.


Henrik Schwarz ist meines Erachtens einer der innovativsten Produzenten elektronischer Musik und hat mit seinen Veröffentlichungen auf Innervisions und seiner zeitlosen DJ Kicks Compilation (elektronische) Musikgeschichte geschrieben. Bugge Wessetoft ist ein begnadeter Jazzpianist aus Norwegen, der bombastische Alben produziert hat. Beispielhaft sei hier “New Conception Of Jazz“ genannt. Ein gemeinsames Album der beiden klingt nach einer Hochzeit im Musikhimmel.


Vorab, Cover Artwork ist irreführend. "Duo" ist keine einfache Kost und wer darauf hofft, ein Housealbum mit Jazzelementen zu hören, der ist mit anderen Künstlern, wie zum Beispiel St. Germain, auch besser bedient. Die Tracks auf"Duo" sind komplexer Jazz und der Einfluss von Henrik Schwarz ist eher so zu verstehen, dass er mit mutmaßlich Ableton Live ein weiteres "Instrument" beisteuert. Und das klingt innovativ und aufregend, aber erschließt sich nicht beim ersten Hören. Die meisten Tracks sind zwischen sechs und acht Minuten lang und lassen sich im Aufbau - ähnlich vieler elektronischer Produktionen - Zeit. Basierend auf immer wiederkehrenden Loops werden Elemente dazugefügt und wieder entfernt, was das Ganze manchmal wie ein spontanes Jamming klingen lässt.


ree

Mein persönlicher Anspieltipp ist “Leave My Head Alone Brain", die Platte ist ursprünglich ein "echter" Housetrack von Henrik Schwarz und klingt verjazzt sogar noch interessanter. Aber auch unter den anderen Tracks findet sich kein Füllmaterial. Man merkt dem Album als Ganzes an, dass es von zwei Vollblutmusikern produziert wurde. Die Beiden fordern Ihre Hörer und das kann - zur falschen Gelegenheit gehört - anstrengend klingen.


Auch wenn es komisch klingen mag, am besten habe ich das Album verstanden, als ich es während einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst in der Hamburger Kunsthalle gehört habe. “Kammermusik“ oder “First Track“ auf dem Kopfhörer zu hören und dabei sehr lange ein abstraktes Kunstwerk zu betrachten, hat sich gut und richtig angefühlt. Und wenn die Beiden wieder live auf Tour gehen sollten, dann werde ich das auf keinen Fall verpassen.





Mahlzeit! - Jazz & House für Lunch & Dinner


House und Jazz ist eine unheilvolle Kombination. Unheilvoll deshalb, weil es so einleuchtend klingt unter ein seichtes Saxophon Gedudel eine Bassdrum zu legen und das Ganze dann innovativ zu nennen. Ist es nicht, zu bestaunen an furchtbaren CD Reihen wie Jazz In The House von denen es mittlerweile die 14. Ausgabe gibt. Eine langweiliger und einfallsloser als die Andere.


‎St. Germain bilden da eine sehr lobenswerte Ausnahme. In einer Alltime-Aufstellung der Alben, die ich am meisten gehört habe, liegen die beiden Veröffentlichungen "Tourist" und "Boulevard" auf jeden Fall in den Top 10. In den allermeisten Fällen tatsächlich beim Kochen oder Essen. Mit Freunden und Familie oder alleine. Deshalb beschreibe ich heute auch ausnahmsweise beide Alben in einer Rezension.


Der Sound ist deep und unaufdringlich, aber auf keinen Fall seicht. Die Jazzelemente mit Saxophon, Trompete und Klavier klingen nie auf den klaren Housefokus aufgesetzt, sondern harmonieren rund und groovend. Man  kann sich das auch wunderbar live in einem verrauchten Jazzkeller vorstellen. Auch wenn ich glaube, dass sich die Tracks in den meisten Fällen eher in den Clubs dieser Welt wiedergefunden haben. Schade eigentlich, würde den ein oder anderen verstaubten Jazz Fetischisten auch mal aufrütteln.


St. Germain aus - tatsächlich - St. Germain-en-Laye hatten seinerzeit (1995 und 2000) mit den beiden Alben auch durchaus Publikumserfolg. Beide Platten verkauften sich zwischen 200.000 und 300.000 mal, was ich für die Art von Sound beachtlich finde. Beim Recherchieren stelle ich im Übrigen gerade fest, dass es noch ein drittes Album namens "From Detroit to St. Germain" gibt. Da höre ich gelegentlich mal rein. Musikalisch stecken mehrere Künstler hinter dem Pseudonym. Kopf der Bande ist aber unbestritten Ludovic Navarre.


Es fällt mir schwer auf beiden Alben klare Favoriten fest zu legen. Sicherlich "So Flute"mit dem genialen  Flötenloop oder "Deep In It", für das der Begriff "deep" offensichtlich erfunden wurde. Auch "Land Of", das sich viel näher an Jazz als House bewegt macht viel Spaß und überzeugt auch den ein oder anderen Jazzhater.  Letzendes gibt es aber auf beiden Alben überhaupt kein Füllmaterial oder gar echte Ausfälle. Das hängt wohl damit zusammen, dass  Ludovic Navarre handwerklich gut produziert und musikalisch keine halben Sachen macht.


Anspruchsvoll im Sinne von anstrengend ist St. Germain nicht. Wer also musikalisch Forderndes an der Schnittstelle zwischen Jazz und House sucht, ist beispielsweise mit "Duo" von Hendrik Schwarz und Bugge Wesseltoft besser bedient. Auch eine tolle Platte, aber viel komplexer und vielschichtiger.


Wie gesagt, hört die Alben beim Essen und Kochen oder beim Wein mit Freunden. Da gehören sie hin und klingen auch nach mehr als 15 Jahren frisch wie Austern in Weißweinsauce. Das freut dann auch die französischen Macher dieser beiden Meisterwerke.



ree



bottom of page