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Musik für traurige Surfer


Es gibt Bands, deren Existenz man irgendwo zufällig aufgeschnappt hat. Bands die jenseits jeglicher Hypes und Spex-Reviews existieren und gerade vielleicht auch deshalb mit zu den persönlichen Lieblings-Geheimtipps gehören. Die Band Girls Names stammt aus Belfast und bringt schwergewichtigen Indie-Surf-Pop aufs Parkett. Ich bespreche hier das erste Album der Band, namens “Girls Names - Dead To Me", da ich es noch etwas besser finde, als das Anfang 2013 erschienene zweite Album "Girls Names - The New Life".


„Dead To Me“ startet mit einem der Highlights des Albums. Der Song Lawrence ebnet mit einem atmosphärischen Gitarrenintro den Weg für die leicht düstere Stimme von Cathal Cully. Die Surf-Einflüsse sorgen stets dafür, dass die Musik nicht zu sehr ins Düstere abdriftet. Für einen Kinderkarneval ist der Sound jedoch dennoch nicht zu empfehlen. Keinesfalls leicht verdaulich und zur falschen Zeit gehört vielleicht auch etwas zu energetisch und aufregend. Zur richtigen Zeit gehört jedoch – und hier denke ich an eine nächtliche Fahrt durch Berlin oder den angetrunkenen Nachhauseweg aus einem Pub – entfaltet das Album eine völlig eigene Stimmung und ist vor allem mal etwas Anderes im Indie-Einheitsbrei. Mit großer Sicherheit auch eine Geheimwaffe für eine gute Club-Crowd. Mein Highlight des Albums ist „I lose“ – beim Gitarrenriff zu Anfang des Stücks wähnt man sich fast in einem Soundtrack zu einem Tarrantino-Film.



Super Überblick über das musikalische Schaffen eines der relevantesten Labels der letzten 20 Jahre


Ich will nicht älter und vor allem altklüger klingen als unbedingt notwendig. Aber es gab mal eine Zeit, da hatten elektronische Labels eine echte Bedeutung im unendlichen Wirrwar des unerschöpflichen musikalischen Angebots. Sie standen entweder für einen bestimmten Sound oder boten als Leuchtturm Orientierung für Qualität. Warp sticht in dem Kontext als Label mit mittlerweile jahrzehntelanger Historie und echter Daseinsberechtigung hervor. Im Gegensatz zu einer unüberschaubaren Anzahl von Kleinstlabels, von denen nach wenigen Veröffentlichungen niemand mehr etwas hört. Und das in fast allen Fällen auch zu Recht.


Warp steht seit je her für Musik abseits der üblichen Genregrenzen und für Bands deren Musik eine gewisse Lust auf Komplexität voraussetzt. Die Doppel CD "Chosen" wurde zum 20 jährigen Bestehen des Labels aus Sheffield (sitzen aber mittlerweile in London) veröffentlicht und birgt eine Besonderheit. Auf CD 1 haben über 50.000 Fans ihre absoluten Lieblinge bestimmt, während auf CD2 ein Mitbegründer seine 14 Favoriten ausgewählt hat. Beide CDs geben einen super Überblick über den Querschnitt des Labels. Ich empfehle übrigens den Kauf der physischen CD oder sogar des Vinyls. Das Artwork ist sehr ansprechend gemacht und beinhaltet viele Statements von Fans, die darüber schreiben, was sie mit den einzelnen Tracks verbindet. Beim Stöbern habe ich zudem festgestellt, dass es zu fast allen Tracks ziemlich gute - und teilweise sehr verstörende - Videos gibt.



CD1 ist naturgemäß - wenn 50.000 Fans auswählen - etwas hitlastiger. Klar, dass die absolute Warp Überplatte "Windowlicker" nicht fehlen darf. Die habe schon ewig nicht mehr gehört. Ein Monster, dass sich über 6min zwischen der eingängigen Hookline und einem Drone Music Rauschen herausschält und ich unbedingt mal wieder laut hören will. Dazu gibts die üblichen Warp-Verdächtigen, wie "Boards Of Canada", knallenden Drum'n'Bass von Squarepusher und einen fetten Gitarren/Electro-Hybrid von "Battles". LFO ist natürlich auch mit von der Party, auch wenn ich die nie richtig gut fand. Dann schon lieber Ambient von Plaid oder die Kreuzung zwischen Disco und Acid des Herrn Luke Vibert. Die folgenden knapp vier Minuten von Autechre muss man wahrscheinlich aus Credibility Gründen ertragen, bis es dann mit Jimmy Edgar und Chris Clark ein bisschen versöhnlicher endet.


CD 2 von Steve Beckett selektiert finde ich persönlich schon fast interessanter. Viele der üblichen Namen finden sich auch hier wieder, aber die Trackauswahl ist spannender. Sqarepusher ist hier mit einer gelassenen Triphop Nummer am Start, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte, während Nightmares on Wax echte Acidqualitäten an den Tag legt. Aphex Twin läßt uns tief in seine Soundexperimente blicken und holt aus dem Loop eines springenden Gummiballs mehr raus, als manch gehypter Produzent der Stunde aus Ableton Live. Und “Grizzly Bear" hört sich an wie die Beatles nach einem schief gelaufenen Drogenexperiment.


Was auf Warp veröffentlicht wird, das kauft und hört man nicht, weil es im Hintergrund plätschern soll. Auch nicht dann, wenn man mal wieder "was Schönes" hören und dabei lesen will. Und wenn sich der charmante Schwarm zum Abendessen inklusive romantischer Übernachtung angekündigt hat, dann ist das auch nichts - Ok, mit Ausnahme von Boards of Canada vielleicht. Auf den Warp Sound muss man sich einlassen. Das hört man bei einem Spaziergang durch eine im Niedergang befindliche britischen Industriestadt. Oder alleine auf einer Reise, den Kopf an das Zugfenster gelehnt und die tobenden Kinder im Abteil ausblendend. Oder im richtigen Moment im Club. Dann befördern nämlich unerträgliche Soundgewitter den geneigten Hörer in ein Sounderlebnis der besonderen Art.

So, und jetzt Aphex Twin auf VOLLE Lautstärke. Dann wisst ihr, was ich meine.




Es groovt wenn's groovt und hier hört es einfach nicht auf


Es gibt Alben im eigenen musikalischen Dasein, die öffnen einem völlig neue Horizonte. Platten, die Einen begeistern und zu denen man Gedanken hat, wie "hoppla, wieso höre ich das jetzt erst" oder "ich brauch mehr davon, was klingt denn so ähnlich" oder "wann kommt der mal live in meine Nähe". Das erste Album von Kalabrese "Rumpelzirkus" aus 2007 ist genau so ein Album.


Unzählige Male hab ich es gehört, weil ich die Verbindung aus House und organischem, schmutzigen Funk unbeschreiblich finde. In 2013 wurde dann endlich der Nachfolger “Independent Dancer“ veröffentlicht und das Album ist noch besser.  Der Züricher Eidgenosse Kalabrese versteht es wie kein Zweiter aus den Komponenten Folk, House, Funk und gelegentlichen Jazzelementen einen Sound zu kreieren, der für den Floor genauso gemacht ist, wie für den Kopfhörer oder das gemeinsame Dinner zu zweit oder mit Freunden.


Im Vergleich zu "Rumpelzirkus" sind die elektronischen Elemente etwas zurückgenommen und die analogen Instrumente überwiegen. Das lässt die einzelnen Tracks jammender und weniger bis ins letzte Detail produziert klingen. Kombiniert mit dem verstärktem Einsatz von Vocals von Kalabrese selbst, aber auch Gästen wie Sarah Palin (die scheint wirklich so zu heißen und hat mich der Amerikanischen Politikerin nichts zu tun) klingt das gleichzeitig sehr erwachsen und unfassbar sexy.


Es fällt mir schwer, echte Lieblingstracks auf dem Album zu benennen, weil ich die ganze Platte bombastisch finde. “Fresh And Foolish" lebt von den Vocals und erzählt eine wunderbare Geschichte. “Let The Good Times Roll" ist eine Platte, die Prince sicherlich gerne selbst gemacht hätte und "Shiltal" macht Lust auf Sommer. Trotzdem, bitte kauft euch das ganze Album und nicht nur einzelne Tracks. Ihr verpasst sonst was. Und wenn ihr schon dabei seid, kauft euch Rumpelzirkus gleich auch. Und wenn “Kalabrese und sein Rumpelorchester“ bei euch in der Nähe spielen, GEHT HIN!



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